Weinend schreit der kleine Paolo völlig verzweifelt um Hilfe – auf Italienisch – Aiuto ! Dabei schiebt er seine todkranke Mutter auf einem Karren durch den Matsch. Niemanden interessierts. Warum auch, das Krankenhaus nimmt keine Italiener auf. Die Mutter stirbt und wird wie ein totes Stück Vieh weggeschafft.

Der Junge gehört zu den Straßenkindern, die in einem der schlimmsten Slums von Manhattan ums Überleben kämpfen, ein Zentrum von Kriminalität, Prostitution, Armut und Verwahrlosung, ein Ort, an dem Du nichts zu suchen hast, ein Ort für „Itaker“, die „Meerschweinchen“, wie diese Migranten, Menschen zweiter Klasse, im Amerika des 19. Jahrhunderts verächtlich genannt wurden.

Heute im Trump-Amerika sind es die fast rechtlosen Migranten aus Lateinamerika, die Ausbeutung und Rassismus ertragen müssen. Den „amerikanischen Traum“ durften und dürfen nur wenige leben.

Dorthin verschlägt es 1889 Francesca Xaviera Gabrini, dorthin, wo sie eigentlich nichts zu suchen hat, wie ihre Gegner es ihr deutlich spüren lassen. Francesca wäre auch lieber nach China gegangen, aber Vincenco Gioacchino Pecci schickt sie nach Amerika, wo sie sich vor allem um italienischstämmige Migranten kümmern soll. Später wird man sie, Francesca, „die Gesandte des Papstes“ nennen, eine Nonne im Kampf für Migranten. Der, der sie schickt, Vincenco Gioacchino Pecci, ist kein geringerer als Papst Leo XIII. Aber das erleichtert die Arbeit der Nonne kaum. Was sie will ist Waisenkindern wie Paolo ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Sie deckt die grauenvollen Zustände auf. Gegen alle Widerstände verwirklicht sie ihre Visionen. Sie lässt sich weder von Kirchenoberen wie den irisch-stämmigen Erzbischof von Manhatten, noch vom Bürgermeister oder anderen selbstherrlichen Politikern einschüchtern, auch nicht von brutalen Zuhältern. 1917 verstirbt die Nonne Francesca und hinterlässt zum Beispiel ein gut geführtes Waisenhaus und das berühmte Columbus Hospital in New York, das italienischen Migranten, die sonst keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, offensteht. Als erste US-Bürgerin wird sie 1946 heilig gesprochen, eine Gesandte des Papstes, eine Heilige der Nächstenliebe, die den Werken der Barmherzigkeit Hand und Fuß verleiht und ins Heute übersetzt.

Es ist gut barm-herz-ig zu sein. Barmherzigkeit mildert nicht nur Not; sie macht die, die sich tatkräftig zu ihr bekennen, selbst reifer, menschlicher und christlicher.

Sieben Werke der Barm-HERZ-igkeit für unsere Zeit sind einzig die Liebe.

„Die Liebe ist der Stoff, den die Natur gewebt und die Fantasie bestickt hat“ (Voltaire).

Liebe verortet sich im

„Du gehörst dazu“,
d.h. Menschen, die am Rande stehen, einbeziehen, Behinderte, sozial Schwache, Migranten….

„Ich höre Dir zu“,
d.h. Zeit und persönliches Interesse für die aufbringen, denen keiner zuhört, an deren Leben niemand Anteil nimmt….

„Ich rede gut über Dich“,
d.h. Denen Ansehen geben, die übersehen, abgeschrieben oder verurteilt werden….

„Ich gehe ein Stück mit Dir“,
d.h. Orientierungslosen Rat und Hilfe anbieten, einen schweren Weg mitgehen….

„Ich teile mit Dir“,
d.h. jene nicht leer ausgehen lassen, denen das Nötigste zum Leben fehlt….

„Ich besuche Dich“,
d.h. ich gehe an Orte, von denen, mir möglicherweise gesagt wird, dass ich dort nichts zu suchen habe, ich gehe zu Einsamen, Fallengelassene, und suche sie auf….

„Ich denk an Dich und bete für Dich“,
d.h. ich lasse Dich bei Gott nicht außen vor, ich bete für Lebende und Verstorbene….


Josef Gerwing

Dieser Impuls entstand auf dem Hintergrund des Kinoerfolgs „Die Gesandte des Papstes“, ein biographisches Melodram von Alejandro Monteverde, 2025

und einer vor einigen Jahren erstellten Umfrage im gesamten Bistum Erfurt zu den Werken der Barmherzigkeit für unsere Zeit.