oder
Ich mag Menschen, die fließend Herz sprechen
Josef Gerwing
Frankreich würdigte vor einigen Jahren seinen großen Literaten Antoine de Saint-Exupery.
Vor mehr als 75 Jahren stürzte Saint-Exupery mit seinem Flugzeug ab und starb. Weltruhm erlangte er mit seiner Geschichte „Der kleine Prinz“. Diese Geschichte widmete er seinem alten Jugendfreund Leon Werth. Beim kleinen Prinzen geht es um Annäherung, Achtsamkeit und Freundschaft. Das Büchlein vom kleinen Prinzen ist das Bekenntnis einer Freundschaft, ähnlich ein Brief von Saint-Exupery an Leon Werth dessen Originaltitel „Lettre a un otage“ lautet und in Deutschland zunächst unter dem Titel „Brief an einen Ausgelieferten“, später allerdings mit „Bekenntnis einer Freundschaft“ veröffentlicht wurde. Neben dem Ruf nach tiefem Respekt und Ehrfurcht vor dem Leben bricht sich auch hier die große Sehnsucht nach freundschaftlicher Annäherung Bahn. Antoine schreibt: „Ich dürste nach einem Gefährten, der, jenseits der Streitfragen des Verstandes, in mir den Pilger … sieht“.
Ähnliches muss Jahre zuvor Joseph Folliet, Rene Beaugey und Franz Stock aufgewühlt und bewegt haben, als sie die Bewegung der „Compagnons de Saint Francois“ ins Leben riefen. Auch hier geht es um eine große Sehnsucht nach Gefährtinnen und Gefährten mit denen man unterwegs sein kann auf dem Weg der Versöhnung und freundschaftlichen Annäherung – nach den grausamen Weltkriegen. Die Bewegung der Compagnon existiert bis heute und sie ist lebendiger denn je. Geblieben ist auch ihre unbändige Sehnsucht nach menschlicher Annäherung, Achtsamkeit und Freundschaft. Die inzwischen internationale Bewegung hat sich verwurzelt in den Ideen und Überzeugungen eines Franz von Assisi. Die Welt braucht mehr denn je heute keine auf Macht fixierte, nur um sich selbst kreisenden Menschen. Die Welt braucht dringend Friedensstifter, Heiler, Erneuerer, Geschichtenerzähler und Liebende aller Art. Kein geringer Anspruch, dem sich aber die Gefährteninnen und Gefährten, jung und alt, bis heute stellen. Exemplarisches Beispiel ist die jährliche internationale Pilgerfahrt.
Hier kommt es zu Kontakten, Begegnungen und schließlich auch zu Beziehungen. Gelebt wird dabei eine besondere Geistlichkeit. Diese Form von Spiritualität ist mehr als ein Heilen der Seele durch Handauflegen und gesund beten, sie ist ein Heilen durch Handanlegen, ganz praktisch und im Sinne einer Werteethik, die im alten Mönchtum schlicht mit „ora et labora“ seinen Ausdruck fand. Dahinter steckt eine tiefe Wertschätzung alles Lebendigen oder wie Franz Kafka es in seiner besonderen „Liebeserklärung“ verbildlicht: „Deine Hand ist in meiner, so lange Du sie dort lässt“.
Oder ich will’s mal fromm mit der goldenen Regel der Bibel sagen: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“.
Es dürfte deutlich werden, dass die Compagnons de Saint Francois mehr sind als ein „religiöser Interessenverein“. Sie sind „Com – pagnons“ vom lateinischen „cum pane“, also Gefährten, die ihr Brot (pane) mit- (cum) einander teilen, eine „ICH – DU“ – Gemeinschaft bilden. Das stiftet Gemeinschaft und begründet gleichzeitig Identität.
( frei nach dem jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber: Ich reife (werde) am Du)
Was Gefährten nicht sind, ist leicht gesagt: Sie sind keine „Chill-Out-Area“, keine „FeiertagsBewegung“ und schon gar nicht eine kirchliche „Süßwarenabteilung“, aber in jedem Augenblick, Leben pur. Erlebbar wird die Bewegung der Gefährten bei ihren regelmässigen Treffen.
Die 10 Tage Commune auf einer Pilgerfahrt sei hier nochmals in einigen Strukturelementen hervorgehoben. Pilgerfahrt der Gefährten ist keine Wallfahrt, keine Fahrt mit frommen Einlagen und auch nicht ein Unterwegssein mit ein bisschen Beten. Pilgerfahrt ist ein Stück Lebensweg. Er wird ergangen – zu Fuß, spürbar spätestens wenn die Blasen an den Füßen erscheinen. Wir bilden in diesen 8- 10 Tagen eine Art „vita communis“, nehmen uns Zeit mit- und füreinander, um ein ausgewähltes Jahresthema zu reflektieren, sind Selbstversorger, empfangen Impulse, Themen werden angedacht, um darüber nach- und weiterzudenken. In den Tagen wird ein einfacher Lebensstil gepflegt, gemeinsame Haushaltsführung und materielle Anspruchslosigkeit (aus Solidarität mit den Armen) wird eingeübt. Die Pilgerfahrt ist ein Ort des Teilens von Liebe, Lust und Leidenschaft auf dem Hintergrund einer Ehrfurcht vor der Schöpfung. Von Anbeginn hat mich auf den Pilgerfahrten der Gefährten (sei es in den altersgemischten Gruppen, den Familiengruppen, den Abenteuergruppen und, und und) bewegt, dass sie Freude macht auf das Leben mit den kleinen Dingen am Wegesrand.
Es ereignete sich vor einigen Jahren. War es in Frankreich, Spanien, Schweden oder …ich weiß es nicht mehr!? Aber die kleine Eveline – gerade mal 3 Jahre alt – prägte sich uns ein. Der Tag war lang gewesen. Viele Kilometer waren wir gegangen, hatten uns verlaufen und wegen der Hitze eine längere Mittagspause eingelegt. Eveline wurde entweder von ihrem Vater getragen oder von Jörg und mir in einem Bollerwagen hinter uns hergezogen. Gedacht war der Wagen eigentlich für’s Kochgeschirr und den ein oder anderen Rucksack. Quitschvergnügt genoss Eveline die Fahrt. Es war bereits Abend geworden als wir im Schatten einer kleinen Kirche auf einem rasenähnlichen Vorplatz Rast machen. Dort sollten wir nächtigen. Einige bereiteten das Abendessen vor. Eveline redet in Französisch auf uns ein, wies uns einen Platz an einer Regenrinne der Kirche zu und band uns mit längeren Grashalmen daran fest. Sie bedeutete uns, ruhig sitzenzubleiben, strich uns zärtlich über den Kopf und klopfte uns kräftig auf die Schultern. Dann lief sie weg. Wir sahen zu, wie sie mit grosser Sorgfalt und Achtsamkeit ausgesuchte Grashalme und Gänseblümchen pflückte, hin und wieder hielt sie inne, schaute zu uns rüber, betrachte ihre Gräsersammlung und lief dann freudestrahlend auf uns zu. Mit großem Eifer – für uns etwas überraschend – stopfte sie uns die Blümchen und Gräsermischung in den Mund. Ich verstand gar nichts mehr und spuckte alles wieder aus. Dann sah ich nur noch das entsetzte Gesicht eines dreijährigen Mädchens. Völlig verzweifelt und mit Tränen in den Augen lief sie zu ihren Eltern, Franz und Simone. „Meine Pferdchen wollen nicht essen“ rief sie untröstlich. Sie zeigte auf uns. Plötzlich wurde uns klar, was für sie Pilgerfahrt war: ein Spiel (des Lebens)., ein Ort des Teilens – wie ich es später interpretierte – von Besitz, Zeit und Leben, „Rast bieten auf dem Weg zu einem ewigen Zuhause“ (Romano Guardini). Das ist Pilgerfahrt der Gefährten und noch viel mehr. Eveline ist inzwischen eine junge Frau und selber Mutter. Geblieben ist eine herzliche Achtsamkeit Leben im Provisorium zu gestalten.
An dieser Stelle kommt mir Saint-Exupery wieder in den Sinn und seine Erzählung vom kleinen Prinzen. Dort heißt es an einer Stelle: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“.
Willst Du die Compagnons de Saint Francois kennenlernen, mit ihnen Kontakt aufnehmen, eine Begegnung wagen mit der Aussicht beziehungsreicher Erfahrungen, dann empfehle ich Ausschau zu halten nach Menschen, die mit dem Herzen sprechen. Das könnten Gefährten sein.
